Sozialer Sprengstoff

24. November 2023

 

foto Ein fieses Rückenproblem hatte mich zuletzt fest im Griff aber heute geht es langsam wieder. Anthony Quinn hat das ganz gut gesagt: Auch mit sechzig kann man noch vierzig sein - aber nur noch eine halbe Stunde am Tag.

Gewisse Begebenheiten lassen sich unterdessen vermutlich nur als Realsatire ertragen. Daher ganz in der Tradition Monty Pythons: And now for something completely different...

Freigiebig

Computer haben sich inzwischen etabliert, sind zum normalen Alltagsgerät geworden wie ein Kofferradio oder Plattenspieler (für jüngere Zeitgenossen: Das waren früher einmal Geräte zum Musik hören).

Themen wie Privatsphäre und Selbstbestimmtheit scheinen dabei in den Hintergrund zu treten. Ganz so, als erfordere die fortschreitende Digitalisierung die Vernachlässigung des Datenschutzes. Jüngste Veränderungen wie zum Beispiel die Freigabe des Austauschs von biometrischen Merkmalen (vgl. heise online) oder die massive Speicherung von Kfz-Daten (vgl. tagesschau.de) werden nicht hinterfragt. Letztlich leistet Gleichgültigkeit gegenüber diesen Themen dem Missbrauch Vorschub.

Beispielsweise die Datensammelei von Autokonzernen geschieht nicht ohne Zustimmung der Fahrzeughalter. Sie wird ihnen nur derart verklausuliert entlockt, dass es kaum mitzubekommen ist. Es genügt, auf dem Handy eine App zu installieren und einmal auf 'Zustimmen' zu klicken und schon ist man gläsern geworden. Natürlich lässt sich die Zustimmung jederzeit widerrufen, aber die Daten und damit die Offenlegung aller persönlicher Informationen, die sich daran ablesen lassen, sind unwiederbringlich in der Welt.

Bislang sind dystopische Auswirkungen solcher Freigiebigkeit Vision geblieben. Aber weder ist das eine Folge besonderer Sorgfalt der Beteiligten noch ist absehbar, ob es so bleibt.

Zuviel

Das Vermögen der 1000 reichsten Personen, von denen knapp ein Viertel Milliardäre sind (vgl. hier), belief sich bis 2017 auf 1177 Milliarden Euro. Allein in jenem Jahr nahm der Wert noch um 13% zu, während im gleichen Zeitraum das Bruttoinlandsprodukt um 2% stieg. Zum Vergleich: der Bundeshaushalt belief sich 2018 auf weniger als ein Drittel, 335 Milliarden Euro. Was das für die Umwelt bedeutet, zeigen die Zahlen von Oxfam.

Auf Deutschland bezogen verursachte das reichste Prozent der Einwohner 2019 insgesamt 83,3 Tonnen CO2-Emissionen pro Kopf und Jahr. Die ärmere Hälfte der deutschen Bevölkerung verbrauchte 5,4 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr.

tagesschau.de, 20.11.2023

Die Zahl für sich sagt noch nicht viel. Erst die Größenordnung macht die ungeheuerliche Diskrepanz deutlich: 1% der Deutschen verursacht 15 mal so viel CO2-Ausstoß wie die gesamte ärmere Hälfte der deutschen Bevölkerung. Nicht doppelt oder dreimal so viel. 15 mal so viel.

Zum reichsten Prozent der Weltbevölkerung gehörten im Jahr 2019 Personen mit einem Jahreseinkommen von über 140.000 US-Dollar, zum reichsten Prozent der deutschen Bevölkerung Personen mit einem Jahreseinkommen von über 256.000 Euro. (tagesschau.de)

Ist 'weiter so' die richtige Haltung dazu? Neue Steuern auf klimaschädliche Konzerne sowie die Vermögen und Einkommen der Superreichen wünschen sich inzwischen auch Reiche.

Populisten olé

Populisten zu wählen hat stets die Einschränkung von Freiheit zur Folge.

In Argentinen ist Herr Milei gegen das Recht auf Abtreibung, glaubt nicht an den menschengemachten Klimawandel und schimpft den argentinischen Papst Franziskus einen Kommunisten. Herr Wilders indessen meint, die Niederlande müssen den Niederländern gehören (wem sonst gehören sie zur Zeit?) und fordert eine Volksabstimmung über einen EU-Austritt. In Ungarn baut Herr Orban stetig Demokratie ab. In der Slowakei sägt Herr Fico an der Pressefreiheit. Und à propos Pressefreiheit: In Thüringen ist ein Journalist auf einer AfD-Veranstaltung beschimpft, geschubst und geschlagen worden.

Und das sind nur Ereignisse von dieser Woche. Demokratieabbau ist sichtlich einfach, ein autokratischer Federstrich genügt, besonders, wenn demokratische Institutionen erst einmal entmachtet sind.

Übrigens: In 347 Tagen wählen die US-Bürgerinnen und -Bürger einen neuen Präsidenten. Herr Trump bezeichnete indes gewisse in den Grenzen der USA lebende Menschen als "Ungeziefer" und ließ verlauten, er werde sie "ausrotten". Es ist ein langer Weg von The Hill We Climb zur Sprache von Hitler und Mussolini. In Deutschland war dies viel zu lang die Amtssprache. Wer hätte sie dereinst im Land der Freien vermutet?

Hier ist die freiheitliche demokratische Grundordnung unser höchstes Gut. Während andere Länder in Sachen Populismus schon weiter sind, bringen sich die Feinde dieser Ordnung auch hier weiter in Stellung.

Wollen wir uns dem Klein-Klein der Spalter in unserer Gesellschaft anschließen, uns dogmatisch in eines der Lager begeben und uns gegenseitig bekämpfen? Oder gelingt es, über alle Unzulänglichkeiten des Systems hinwegzusehen und dahinter die erwähnte Grundordnung und all die gemeinsamen Werte zu erkennen, um die uns der ganze Rest der Welt beneidet.

Schlussbemerkungen

Die Lage ist ernst, aber nicht aussichtslos. Bange machen gilt nicht. Gemeinsam sind wir stark. Oder, um es mit dem Philosophen Manfred Hinrich zu sagen: Dogmatiker hängen sich an der Richtschnur auf.





 

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