Spalter

23. August 2025

 

fotoDer Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, sagt in einem Spiegel-Interview von gestern, "die Babyboomer haben den Generationenvertrag gebrochen" und spricht sich für ein "verpflichtendes soziales Jahr für alle Rentnerinnen und Rentner" aus.

Der Beitrag befindet sich hinter der Spiegel-Paywall, so lässt sich leider nur aus zweiter Hand darauf reagieren.  

Mit Eintritt in den Ruhestand endet die Pflicht, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und der Bezug von Rente beginnt. Diese Grenze ist durch das Renteneintrittsalter markiert. Insofern sind die Forderungen Fratzschers nichts weiter als ein besonders perfider Versuch einer Ausweitung der Kampfzone, mit der letztlich das Alter für den Austritt aus dem Arbeitsleben verschoben werden soll.

Die von Fratzscher beschriebenen Lasten tragen immer die Erwerbstätigen. Es ist nicht ungerecht, wenn zugleich Rentner davon freigestellt sind und entsprechend verbietet sich, die Generation von Erwerbstätigen gegen die Generation der Rentner auszuspielen. Schließlich haben die Rentner jene Lasten während ihres Erwerbslebens ebenso getragen. Es darf dagegen gefragt werden: Wo wären "die Jungen" heute ohne uns?

Die Behauptung, die heutigen "Jungen" müssten mehr Lasten schultern, trifft nicht zu. Auf die Frage, wer die Renten bezahlen soll, antworte ich: Gemäß heutigem Rentensystem die heute Erwebstätigen. Wenn es zu wenige Erwerbstätige gibt, müssen die Verantwortlichen für mehr Erwerbstätige sorgen und zwar pronto. Und sie müssen sie auch angemessen bezahlen, damit das Rentenniveau gehalten werden kann.

Ich habe nach dem Abitur Wehrdienst als Navigator in der Bundesmarine geleistet. Meine Frau und ich haben danach beide mehr als 40 Jahre gearbeitet, ohne Unterbrechung. Wir haben zwei Söhne großgezogen, der eine ist Mathematiker, der andere Historiker.

Wir haben beide während unseres gesamten Erwerbslebens dem Staat nicht einen Tag lang auf der Tasche gelegen, auch nicht, als mein letzter Arbeitgeber mir im Alter von sechzig Jahren nach zehn Jahren Firmenzugehörigkeit kündigte.

Niemand beschäftigt einen hochqualifizierten Sechzigjährigen zu akzeptablen Konditionen. Mich in diesem Alter ohne Chance auf eine angemessene und würdige Weiterbeschäftigung für den Vorruhestand zu entscheiden fiel mir leicht: Wir können uns das finanziell leisten, da wir zwei Arbeitsleben lang unser Haus fertig abbezahlt und entsprechend gehaushaltet haben, um diesen Vorruhestand auch sonst aus eigenen Mitteln bezahlen zu können, bis wir das Rentenalter erreichen.

Was Herr Fratzscher da nun fordert empfinde ich als ungeheuerliche Herabsetzung unserer Lebensleistung und einen widerwärtigen Versuch, das Versprechen zu brechen, das uns für unseren Lebensabend gegeben wurde, ganz zu Schweigen vom Eingriff in die Freiheit des Einzelnen, wie er in der geforderten Dienstverpflichtung bestünde.

Wider besseres Wissen wird von Herrn Fratzscher eine ganze Generation von Rentnern diffamiert und behauptet, wir hätten nicht ausreichend zu einem "Generationenvertrag" beigetragen. Richtig ist, wir haben keinen solchen Vertrag unterschrieben und hätten es vorgezogen, selbst für unsere Rente zu sorgen. Wir hätten lieber in ein kapitalgedecktes Rentensystem eingezahlt anstatt einen sogenannten "Generationenvertrag" aufgezwungen zu bekommen, der keiner ist. 

Herr Fratzscher weiß sehr genau, dass unser Rentensystem auf dem »Taschenspielertrick« beruht, nur dann zu funktionieren, wenn viele Erwerbstätige wenige Rentner finanzieren. Das Risiko, das seit mehr als sechzig Jahren besteht und jetzt eintritt, dass nämlich das Rentensystem droht zu kollabieren, wenn immer weniger Erwerbstätige da sind, um immer mehr immer länger lebende Rentner zu finanzieren, war schon ebensolange bekannt und absehbar. 

Nicht nur das Verhältnis von Erwerbstätigen zu Rentnern, auch eine fehlende Deckung für deren zunehmende Lebenserwartung ist nicht die Schuld der heutigen Rentnergeneration sondern Ergebnis grundlegender Fehler im System. 

Richtig ist, dass über Jahrzehnte versäumt wurde, alle ins Rentensystem zu holen, also etwa Beamte, Abgeordnete oder Selbstständige, um so die Solidargemeinschaft auch wirklich auf alle Schultern zu verteilen. Zudem wurde versäumt, genügend Erwerbstätige auszubilden, ins Land zu holen und vor allem jene an den Kosten zu beteiligen, die hierzulande wirklich die Verantwortung tragen: Kinderlose.

Das heutige Rentensystem, wie es 1957 eingeführt wurde, sah vor, dass unverheiratete Kinderlose den doppelten, verheiratete Kinderlose den 1,5-fachen Beitrag wie Verheiratete mit zwei Kindern zahlen sollten. Diese Regelung wurde 1957 aber nicht umgesetzt und sorgt seitdem für weniger Geld in der Rentenkasse und zudem für eine doppelte Ungerechtigkeit: Kinderlose profitieren von unverhältnismäßig hohen Renten ohne die Lasten von Eltern zu tragen, die als einzige dazu beitragen, dass es in der Zukunft überhaupt Einzahler in die Rente gibt. 

Und da ist mehr. Immer wieder wurden mit dem Verweis auf angebliche Überschüsse im Rentensystem Rentengelder für sachfremde Leistungen ausgegeben und so Rücklagen abgeschmolzen, die heute fehlen bzw. nicht zum Anwachsen des Kapitalstocks beitragen konnten. Zudem kamen 1989 mit dem Fall der Mauer mehr als 16 Millionen Menschen in dieses Rentensystem, die nie Beiträge dorthin eingezahlt haben.

Und dafür sollen die Babyboomer verantwortlich sein? Die Babyboomer haben nicht genug für diese Gesellschaft getan? Leuten wie Herrn Fratzscher oder Herrn Hurrelmann sage ich mit großem Zorn: Scheren Sie sich zum Teufel.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung sucht sich besser einen neuen Präsidenten. Dem amtierenden mangelt es beträchtlich an Urteilsvermögen.

Horst Schulte schrieb 23.08.2025 18:08

Ich bin mit diesem Text fast komplett einverstanden. Herrn Fratzscher würde ich etwas milder beurteilen. Aber ich muss den Spiegel-Artikel mit seinen Vorschlägen erst einmal lesen. 

 

Als kinderloser 71jähriger (verheiratet) fühle ich mich mit dem Angriff auf Kinderlose etwas überrumpelt. Aber es ist schon etwas daran, dass wir unseren Beitrag zu diesem Problem nicht "geleistet" haben. Andererseits sind meine Frau und ich 47 Jahre lang berufstätig gewesen und haben ebenfalls immer unseren Beitrag zum Allgemeinwesen geleistet. Bloß haben wir keine Kinder. Asche auf unser Haupt.

Ulrich schrieb 23.08.2025 22:22

Es handelt sich nicht um einen Angriff auf Kinderlose. Elternschaft oder nicht ist eine vollkommen legitime Lebensentscheidung oder auch Umständen geschuldet, die oft nicht in unserer Hand liegen und sich aus anderen vollkommen legitimen Gründen so ergeben haben. Die Frage aber bleibt, wie eine gerechte Lastenverteilung zwischen Eltern und Kinderlosen gelingt und wie das Rentensystem dafür beschaffen sein sollte. Keinesfalls darf dafür eine Seite gegen die andere ausgespielt oder eine ganze Generation pauschal mit Forderungen nach 'Dienstverpflichtungen' stigmatisiert werden. Das klingt mir einfach zu sehr nach Straflager. Das Medienecho und die Antworten von Politikern und Verbänden fallen hierauf erschreckend undifferenziert und uninformiert aus. 





 

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