7. Januar 2025
Heute wurde von Allianz-Chef Oliver Bäte die Forderung bekannt, den sogenannten Karenztag wieder einführen zu wollen, also die Lohnfortzahlung am ersten Krankheitstag von Arbeitnehmern einzustellen, nachdem dieselbe Forderung bereits kurz zuvor von der sogenannten "Wirtschaftsweisen" Monika Schnitzer aufgebracht wurde.
Was mich in diesem Zusammenhang massiv enttäuscht, ist die Reaktion der Gewerkschaften, denen dazu lediglich Kritik einfällt an der Art, wie Arbeitgeber in Krisenzeiten keine bessere Idee hätten, als "mit der Abrißbirne einmal durch den Sozialstaat zu gehen". Wie lahm ist das? Vollkommen am Kern der Sache vorbei.
Ich hätte mir zuallererst den Hinweis gewünscht, dass Arbeitnehmer Menschen sind und keine Maschinen. Menschen können krank werden und benötigen Zeit, um wieder gesund zu werden. Zeit, während der sie möglichst niemand anderen anstecken können und Zeit ohne Arbeit, um möglichst bald wieder arbeiten zu können.
Entweder ein Mensch ist krank oder er ist gesund. Wer krank ist, ist es vom ersten Tag an so lange, bis er wieder gesund ist. Worin liegt der Sinn, den ersten Krankheitstag nicht so zu behandeln wie alle weiteren Krankheitstage?
Herr Bäte hat nicht gesagt, inwieweit er unterstellt, dass manche Menschen vielleicht gar nicht krank sind, wenn sie sich krank melden. Sollte dies der Hintergedanke sein, wäre eine Streichung der Lohnfortzahlung am ersten Tag für alle Menschen zweifellos der falsche Ansatz, denn er träfe mit weitaus überwiegendem Anteil die Falschen, nämlich wirklich Kranke. Ganz abgesehen davon, dass es jedem Arbeitgeber frei steht, ein ärztliches Attest gleich ab dem ersten Tag der Krankmeldung zu verlangen.
Es macht sprachlos, wie unfähig die Verantwortlichen sind, die Fakten zum Thema richtig einzuordnen: Es handelt sich um einen billigen Versuch, die Kosten der Arbeit auf die Arbeitnehmer abzuwälzen, um aus der Arbeit (gesunder) Menschen mehr Profit zu schlagen und nicht arbeitsfähige Menschen während Teilen ihrer Krankheit sich selbst zu überlassen.
Was kommt als nächstes? Arbeitsverträge, die Lohn nur für gesunde Menschen anbieten und Arbeiter im Krankheitsfall beim Arbeitgeber 'abmelden'? Lohnfortzahlung ganz streichen und nur als wohlwollende Vergünstigung im Einzelfall anbieten, wie in den USA? Und dann behaupten, es gäbe nicht genug Fachkräfte, weil sich keine Arbeitnehmer finden, die auf dieses 'Angebot' eingehen?
Wie wäre es, gleich alle Kosten des täglichen Lebens den Arbeitnehmern aufzubürden und ihnen lediglich Kost und Logis bzw. Naturalien als Lohn für ihre Arbeit anzubieten? Wo kommen wir denn da hin, wenn Arbeitnehmer über die Deckung der minimalsten Bedürfnisse hinaus auf Kosten von Arbeitgebern und Anteilseignern noch privatwirtschaftlichen Gewinn erzielen?
Angeblich könnten laut Herrn Bäte bis zu 40 Milliarden Euro jährlich mit dieser Maßnahme eingespart werden. Moment: Eingespart? Soll heißen, die Kosten verschwinden damit einfach? Wohl kaum. Die Kosten in Höhe von 40 Milliarden Euro würden lediglich von den Arbeitnehmern getragen, damit die Arbeitgeber einen entsprechend höheren Profit aus der Arbeit der (gesunden) Arbeitnehmer einstreichen könnten, komplett freigestellt von den Kosten menschlicher Makel, ganz so, als wären Menschen perfekte Maschinen, perfekter noch als Maschinen, die ja auch ausfallen können und dann den Betrieben Kosten verursachen.
Zur Information: Die Allianz hat im Jahr 2023 einen Gewinn von mehr als 9 Milliarden Euro erzielt. Im Jahr 2022 waren es 6,8 Milliarden Euro. Gewinn. Also nach Abzug von Lohn- und Krankheitskosten ihrer Arbeitnehmenden.
Allein für den Vorschlag müsste eine sofortige bundesweite Arbeitsniederlegung deutlich machen, was Arbeitnehmer davon halten.
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