Fehlplanung

11. April 2020

 

foto Auf tagesschau.de ist heute zu lesen, dass 1.800 Erntehelfer im rumänischen Cluj am Flughafen stundenlang dicht gedrängt auf ihre Abreise warteten. Man habe die Reise vorübergehend gestoppt, inzwischen seien aber alle Maßnahmen getroffen und drei Flüge nach Düsseldorf, Nürnberg und Baden-Baden könnten stattfinden.

Die Diskussion um die Ernte von Spargel und Erdbeeren hierzulande wirft bei mir schon die ganze Zeit Fragen auf, die eingentümlicherweise komplett ungestellt bleiben, wenn wieder einmal in den Medien das Thema zur Sprache kommt.

Der Einwand eines Landwirts war zum Beispiel, dass es in Deutschland nicht genügend erfahrene Arbeiter gibt und aus diesem Grund die Beschäftigung und das Anlernen von Aushilfen keine praktikable Lösung sei. Das klingt ähnlich wie die Diskussion um den angeblichen Fachkräftemangel. In beiden Bereichen ist es wohl eher ein Ringen um die niedrigsten Löhne als das Unvermögen, ausreichend viele Helfer auszubilden.

Wenden wir uns also kurz dem Preis zu: Ist es wirklich nicht möglich, landwirtschaftliche Erzeugnisse aus Deutschland zu einem kostendeckenden, profitablen Preis zu verkaufen, wenn der Preis wegen höherer Lohnkosten - sagen wir - doppelt so hoch wäre?

Ich behaupte jetzt mal bewußt provokant und polarisierend, dass es viele Menschen gibt, die Erdbeeren ganz ungeachtet der Tatsache kaufen ob gerade Mai oder Dezember ist. Soll heißen, diese Kunden achten nicht darauf, ob besagte Erdbeeren aus Spanien oder Afrika zu uns gelangt sind. Haarsträubenderweise sind diese Erdbeeren sogar günstiger zu haben als Erdbeeren im Mai vom Acker aus der Nachbarschaft. Letztere werden auch heute schon eher von Kunden erworben, die nicht allein auf den Preis für ihre Lebensmittel sehen und vielleicht lieber an anderer Stelle sparen. Müßig zu erwähnen, dass die Lebensmittel aus beispielsweise Spanien unter Arbeitsbedingungen erzeugt und geerntet werden, die mit Fug und Recht hierzulande unter Strafe stehen.

Hierbei ist auch die Perspektive, auf die der Verzehr von Erdbeeren oder Spargel hinausläuft eine nicht haltbare: Sollen diese nur saisonal wachsenden Feldfrüchte bei uns zum Luxusgut für Besserverdiener werden oder sind sie es womöglich schon? Werden Erdbeeren und Spargel demnächst den Stellenwert von Kaviar, Hummer oder Champagner haben? Oder wäre eine Diskussion um faire Löhne auch und gerade für Geringverdiener nicht längst überfällig.

Und eine ganz pragmatische Frage stellt sich mir ebenfalls schon die ganze Zeit: Ist es Kunden in Deutschland nicht zu vermitteln, wo doch jeder die Corona-Krise kennt, dass ausnahmsweise in diesem Jahr die Preise für Gemüse höher sind? Wir fliegen allen Ernstes Erntehelfer aus Rumänien ein? Wie geht es weiter? Erntehelfer aus Bangladesch oder Indien einfliegen für niedrige Erdbeer-Preise?

Hier wird die Not von Menschen ausgenutzt anstatt wenigstens in Europa eine halbwegs gleichartige Lebenssituation zu schaffen.

Was die eingangs erwähnten Vorgänge in Cluj anlangt bleibt noch die Frage: Hier werden doch wohl nicht andere Erntehelfer auf die Reise geschickt als jene, die da Teil der dicht gedrängt wartenden Menschenmenge waren? Welche Wirkung haben dann also die "Maßnahmen" im Hinblick auf den Versuch, die Verbreitung des Coronavirus einzugrenzen?

Eine weitere Frage, die erstaunlicherweise ungestellt bleibt.





 

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