Unansehnlich

15. Februar 2019

 

foto Neulich fahre ich in der S-Bahn nach Frankfurt. Es war einer dieser Pendlerzüge am Morgen, wenn alles komplett voll ist bis auf den letzten Stehplatz. Als ich zusteige habe ich Glück und ergattere noch einen Sitzplatz, gegenüber sitzt eine Frau mit allerlei Taschen.

Die Türen schließen und als ich gerade denke, dass anstelle der Taschen vielleicht gerne noch der eine oder andere Fahrgast gesessen hätte, verfliegen die letzten Dünkel den Raum anderweitig zu nutzen als sie zuerst aus einer der Taschen einen Behälter fischt und diesem sodann ein hartgekochtes Ei entnimmt.

Unter der Bewunderung aller Umstehenden für so viel Anmut auf engstem Raum wird auf dem Weg nach Zeilsheim über dem Deckel des Behälters akribisch das Ei gepellt wobei sich die Akribie aufs Pellen beschränkt denn nachdem die Eierschalen weitgehend auf dem Boden verteilt zurückbleiben schafft sie es rechtzeitig zum Ausstieg in Höchst das Ei zu verspeisen, den Behälter zu verstauen und mitsamt aller Taschen den Platz eilends in Richtung Bahnsteig zu räumen.

Ich sinnierte eine Weile und kam unter anderem zu dem Schluss, dass es mir entschieden zu stressig wäre, auf diese Weise zu frühstücken. Ich meine, wir waren ja nicht mit der Transsibirischen Eisenbahn tagelang unterwegs durch irgendein Nirgendwo. Das Ganze dauerte gerade mal, naja, vielleicht sieben bis acht Minuten. Ganz zu schweigen von der Logistik, die drumherum nötig ist. 

Kurz erinnerte ich mich an eine Episode von Mr. Bean, in der er die Mittagspause auf einer Parkbank verbringt und so allerlei verzehrt. Aber dann musste ich auch aussteigen. Die Leute lassen sich die eigentümlichsten Arten einfallen ihre Mahlzeiten einzunehmen.

Wer zum Essen gern unter Menschen geht ist auch an der Frankfurter Hauptwache stets in bester Gesellschaft. Kaum ein öffentlicher Ort ist exponierter, insbesondere die podestartige Stelle im Zentrum des Platzes. Soll der Rest der Stadt wissen, welche Delikatessen soeben unter Aufbietung größter Geschicklichkeit quasi freihändig verspeist werden, erzielt dieser Ort sozusagen maximale Reichweite.

Bestimmt ist es nur meine etwas eigentümliche Sicht auf die Dinge. Ich gebe zu, ich war zum Glück noch nicht in der verzweifelten Lage derartigen Hunger zu leiden, dass es nicht gelang, diesen bis zum Erreichen eines geschlossenen und geeignet möblierten Raumes zu zügeln. Bisweilen ist auch das Speisen unter freiem Himmel recht erbaulich, vorausgesetzt, es findet sich eine friedliche und schöne Stelle.

Allzu hastige oder beschwerliche Nahrungsaufnahme inmitten umher eilender oder auch dicht gedrängter Zeitgenossen hingegen ist dem würdigen Verzehr von Nahrungsmitteln für mein Empfinden eher abträglich, im schlimmsten Falle sogar ungesund und überhaupt meistenteils rundum unansehnlich.





 

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