Einmischung

8. Oktober 2016

 

Es ist noch nicht lange her, dass ich im Juni am Brandenburger Tor in eine große Menge von Türkinnen und Türken geriet, die ihren Unmut darüber bekundeten, dass an diesem Tage deutsche Abgeordnete die Ermordung tausender Armenier durch das Osmanische Reich während des Ersten Weltkrieges als Völkermord bezeichneten. Die Menschen nutzten die Versammlungsfreiheit in unserem Land, um dort Flagge zu zeigen und gegen diese aus ihrer Sicht unzulässige Einmischung einzutreten.

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Der türkische Botschafter wurde aus Berlin heimbeordert.

Nun war es damals wahrscheinlich kein Zufall, Unfall oder höhere Gewalt, dass so viele hunderttausend Armenier den Tod fanden und sie gingen auch gewiß nicht freiwillig in den Tod. An diesem Tag in Berlin jedoch war deutlich mitzubekommen, dass jegliche Betrachtung oder gar Erörterung solcher Erwägungen nicht dem Wunsch der dort Versammelten entsprach und so feuerten sie sich weiter gegenseitig an, die Feststellung der deutschen Politiker rundherum zu verurteilen.

Ist dies die Angelegenheit eines Landes und seiner Bevölkerung allein?

Wir erleben gerade eine Diskussion darüber, inwieweit der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen geeignet ist, seine Funktion wirksam wahrzunehmen. Seit mehr als fünf Jahren verhindert das Veto eines Landes, Russland, dass die Haltung der anderen Länder USA, England, Frankreich und China wirksam umgesetzt und eine Chance auf Frieden in Syrien geschaffen wird. Leider ist jegliche Diskussion darüber fruchtlos, da nur die Vetomächte selbst ihren Status ändern können.

Die politischen Grenzen in unserer Welt dürfen nicht in den Köpfen Einzug halten. Selbstverständlich ist es eine 'Einmischung', wenn Menschen ausserhalb des betreffenden Landes einen dort stattfindenden Krieg beenden möchten. Und selbstverständlich möchten die Konfliktparteien das nicht. Jeder mag selbst beurteilen, ob eine Einmischung 'von außen' schädlich oder nützlich für den Frieden ist. Oder ob sie vielleicht das einzige Mittel gegen die vollständige Vernichtung ist.   

"Krieg entscheidet nicht, wer Recht hat sondern nur, wer übrig bleibt"
Bertrand Russel

In der Türkei trugen sich zwischenzeitlich drastische Veränderungen zu. Viele tausend Menschen wurden binnen Stunden verhaftet. Die selbe Größenordnung von Beamten wurde in kürzester Zeit ihrer Posten enthoben. Was mit den vielen Menschen geschah? Was ihnen genau vorgeworfen wird? Ob sie getan haben, was ihnen zur Last gelegt wird? Man weiß es nicht. Journalisten oder Beobachter werden vor Ort als Sympathisanten oder gar Umstürzler bezichtigt und laufen Gefahr, selbst verhaftet zu werden. Eine authentische Information über die Vorgänge im Land scheint nicht möglich und so sind die Gedanken darüber an dieser Stelle freilich pures Hörensagen.

Dennoch werde ich den Eindruck nicht los, dass ein Teil der türkischen Bevölkerung am Brandenburger Tor Freiheitsrechte genießt und wahrnimmt, die einem anderen Teil der türkischen Bevölkerung verwehrt werden und dass diesem Teil damit eine fragwürdige Unterdrückung widerfährt. Wie weit ist es von Unterdrückung zu Völkermord? Die Menschen in Deutschland haben das hoffentlich ebensowenig vergessen wie die Menschen im Rest der Welt.

Gestern nun wurde verkündet, dass der türkische Botschafter zurück sei in Berlin und dass sich die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei normalisiert haben. Die deutsche Regierung hatte sich zuvor von der Haltung der Abgeordneten im Bundestag distanziert.

Wie viel Heuchelei verträgt eine echte Freundschaft? Und wieviel Einmischung erfordert sie?





 

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