Verwicklungen

1. November 2019

 

foto Side­walk, trot­toir, mar­cia­piede. Un­se­re eu­ro­pä­i­schen Nach­barn ha­ben ei­ge­ne Na­men für et­was, das für mei­ne Oh­ren am tref­fend­sten mit "Geh­weg" be­schrie­ben ist. Den Be­zeich­nung­en wohnt über ver­schie­de­ne Spra­chen hin­weg glei­cher­maßen nütz­li­cher­wei­se der Zweck des so ge­nann­ten Ob­jekts in­ne. "Gehweg".

Der Gehweg ist zugleich der Ort, den Fotografen im öffentlichen Raum gewissermaßen ihr Zuhause nennen. Ein Weg zum Entlanggehen. Auf dem Weg zum Ziel, unterwegs von A nach B. Oder auch nur zum Flanieren unter Zeitgenossen. Der Fotograf findet auf Gehwegen und von ihnen aus viele Motive und nicht selten sind Gehwege nicht einfach Wege zu Ansichten und Szenieren sondern gleichsam ihr Schauplatz.

Nichtsdestoweniger haben die Nutzungsformen von Gehwegen - Bezeichnungen wie Gehen, unterwegs sein oder Flanieren lassen es erahnen - hauptsächlich zuvorderst eine Art der Fortbewegung gemeinsam und tatsächlich ist der Gehweg im öffentlichen Raum eine Verkehrsfläche, wer hätte es gedacht.

Das hält viele Menschen freilich nicht davon ab, Gehwege zu allem Möglichen zu gebrauchen. Beim auf den Bus Warten haben Verkehrsplaner in der Regel noch so viel Weitsicht bewiesen, die Warteflächen an den Rand des Gehwegs zu setzen, klar, da hält ja dann auch der Bus.

Überhaupt sind Wegesränder geeignete Orte für viele Verrichtungen außer Gehen was in der Vergangenheit zu einer gewissen ungeschriebenen Übereinkunft führte, sich zum Stehenbleiben an den Rand eines Weges zu begeben während der Weg, nunja, dem Gehen gewidmet bleibt. So weit so gut.

Mittlerweile verstehen große Teile der Bevölkerung es als Ausdruck von persönlicher Freiheit, althergebrachte und in der Praxis bewährte Gepflogenheiten des Zusammenseins ostentativ zu ignorieren, bevorzugt natürlich in der Öffentlichkeit, wo derlei nonverbale Freiheitsbekundungen auf maximale Wahrnehmung und Wirkung treffen. Beliebter werden auch Unmutsbekundungen bis hin zu regelrechten Schimpfkanonaden in Fällen wo vorübergehende Menschen nicht ausreichenden Abstand wahren oder es gar zu Kollisionen kommt.

Indes alles Lamentieren und alles noch so provokante Gebaren hilft nichts. Wer für was auch immer mitten auf dem Weg herumsteht sollte sich persönliche Freiheit hin oder her schon einmal auf gewisse Verwicklungen einstellen.

Wobei wir wieder beim Flanieren und Fotografieren anlangen denn kaum etwas ist beim Flanieren so unterhaltsam und beim Fotografieren so erwünscht wie Verwicklungen.





 

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