Therapie

28. März 2019

 

foto "Hallo?", "Hallo?", "..ah, hallo, der Empfang ist nicht so gut..", "..ja, ich bin in der Bahn..", "..in Griesheim gerade. Noch etwa 14 Minuten..", "..wie geht es Dir?..", "..gut so weit. Wo bist Du gerade?", "Hallo?..", "..ah, Du warst kurz weg. Wo bist Du gerade?", "..schön, ok, wir sehen uns gleich..", "..ja. Tschüss..", "..ich Dich auch..", "..tschüss..", "..tschühüss..", "..tschüss."

Allen flehentlichen Gedanken von Mitmenschen nicht ans Telefon zu gehen zum Trotz bleibt in aller Regel beim erstbesten Klingelton solches Gestammel selten aus und wird nur von Zeitgenossen getoppt, die für derlei Gesülze selbst aus der Bahn zuhause anrufen.

Dafür wurde der Mobilfunk erfunden. - Nicht.

Ohne den Blick aufs Handy zu senken oder es am Ohr zu halten während man gerade achtlos zu Fuß durch Menschenmassen pflügt bleibt eigentlich nur, es zum Fotografieren und Filmen von sich weg zu halten um nicht zu den Opfern zu gehören, die es heute noch wagen, sich ohne Hörer in der Hand unterwegs von A nach B einen Weg durch den Mobilfunkdschungel zu bahnen.

Menschen ohne Schlaufon in der Hand sind Unpersonen und werden umgerannt, beschallt und vollgesülzt. Der handelsübliche Fußgänger darf heute nicht mehr davon ausgehen, dass Mitmenschen ihre Sinne beisammen haben. 

Interessanterweise sind Telefonzombies unter sich gewissermaßen bewegungskompatibel. Die Seltenheit von Wegeunfällen untereinander läßt sich vermutlich mit ihren ebenso zeitlupenhaft wie unvermittelt irrationalen Richtungsänderungen erklären. Bewegungsmuster, die einerseits vermutlich einem Gemälde von Kandinsky zur Ehre gereichen würden, andererseits einer zielgerichteten Fortbewegung der Öffentlichkeit insgesamt gleichsam abträglich sind.

Entsprechend wirkt das Bild, das sich in der Öffentlichkeit bietet. Eine Welt bevölkert von Entrückten. Ohne Wahrnehmung der Umgebung mit Kabel vor dem Mund im Gehen vor sich hin fabulierende oder auch mal rat- mal orientierungslos wirkend auf Geräte blickende Wesen, die scheinbar wirr umher irrend mit ihrem Verhalten ihre Umwelt vorübergehend aus einem Endzeitfilm entlehnt erscheinen lassen.

Beobachter sind zu gleichen Teilen fasziniert und entsetzt mit der Frage konfrontiert, ob sie irgendwo falsch abgebogen sind. Wer möchte kann die Variante 'aus dem ÖPNV-Tunnel mit der Rolltreppe an die Oberfläche fahren' ausprobieren. Ohne Handy, versteht sich. Fühlt sich an als würde man gerade den Film 12 Monkeys live erleben. 

Gegen allzu aufdringliche Telefonate von Zeitgenossen helfen Ohrstöpsel. Das bisweilen surreal anmutende Gebaren der Generation Smartphone im Bild festzuhalten ist dazu eine gelegentlich ganz heilsame Therapie gegen das tagtägliche Mobilfunkgehabe.

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